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REPROGRAF
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t e c h n i k
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Auf einem ES-TE-Licht-
pausautomaten von
Stegenwalner (links)
kopierte Wachtel nach
dem Mauerfall für das
Stahlwerk Riesa. Heute
erinnert nur noch ein
Wandfoto (rechts)
Wolfgang Wachtel an
seinen früheren
Arbeitgeber. Mehr als
13 000 Menschen
arbeiteten bis zur
Wende in dem größten
Stahlkombinat der
DDR.
Die Geschichte des Wolfgang Wachtel (61)
aus dem sächsischen Riesa ist eine schöne
deutsche Wiedervereinigungsgeschichte.
Den plötzlichen Sprung aus der sozialisti-
schen Planwirtschaft in das kalte Wasser
der Marktwirtschaft hat er seinerzeit bra-
vourös gemeistert, der Mann aus Riesa hat
es geschafft. Er ist nunmehr ein erfolgrei-
cher Unternehmer und aktives Mitglied im
Wirtschaftsverband. Wolfgang Wachtel
blickt heute mit Stolz zurück und erzählt,
wie es damals war.
»Am 20.01.1950 wurde ich in Sachsen –
Meißen – geboren. Ich machte, wie auch
viele andere Jugendliche in der DDR, eine
Berufsausbildung mit Abitur als Elektro-
monteur im ehemaligen VEB Stahl- und
Walzwerk in Riesa. Da ich in einem Dorf
bei Nossen zur Schule ging und nur »aus-
gewählte« Schüler auf die Oberschule
(heutiges Gymnasium) zugelassen wur-
den, musste ich über solch einen Weg zum
Abitur gelangen. Seit dem bin ich fest ver-
wurzelt mit dem Stahl- und Walzwerk in
Riesa. Das Stahlwerk unterstützte mich
beim Studium von 1969-1973 an der Tech-
nischen Universität in Dresden unter der
Bedingung, nach erfolgreichem Studium
als Elektroingenieur, Spezialgebiet An-
triebstechnik, weiterhin als Projektant in
diesem Betrieb tätig zu sein. Natürlich
meine Bedingung – ohne Parteibuch!
1982 stellte sich für mich eine sehr interes-
sante Aufgabe im Kombinatsbetrieb –
nämlich ein Neuaufbau einer Abteilung
der Vervielfältigungs- und Mikrofilmtech-
nik. Die Entwicklung bzw. auch die Ab-
wicklung des Stahlwerkes in Riesa veran-
lasste mich 1990 mich intensiv mit der
Marktwirtschaft und den entsprechenden
Erfolgschancen zu beschäftigen. So berei-
tete ich mich für ein kleines Privatunter-
nehmen vor. Am 6. Mai 1991 gründete ich
aus der Lichtpauserei des Stahlwerkes das
›Reprozentrum‹ – gleich in den Räumen im
Stahlwerkgelände.
Der Hit war: Ein ausrangiertes Kopiergerät
diente mir zumNeuanfang. Vervielfältigte
Bauzeichnungen und Großkopienmussten
nun gefaltet werden, und das ohne jeg-
liche Faltmaschine bzw. Technik! Diese
Großformatevonca. 1,20mx0,90m(DINA0)
wurden nun mit nach Hause genommen
– wohlgemerkt in eine Zwei-Zimmer Woh-
nung von ca. 55 qm (Wohnstube ca. 16 qm)
– und dort wurden sie von der ganzen
Familie auf dem Teppichboden manuell,
aber doch fachgerecht gefaltet.
Wenn man nur an diese Zeit denkt, wie
doch viele fleißige DDR-Bürger zu einer
Einst auf demWohnzimmerboden Pläne gefaltet
Wolfgang Wachtel erinnert sich an sein Outsourcing im Stahlwerk Riesa und den Sprung in die Selbstständigkeit vor 21 Jahren
kleinen Privatfirma kamen!?! Diese Aspek-
te haben mich geprägt.
Es gab viel neu zu erlernen in der Markt-
wirtschaft – Firmen gaben auf oder wurden
aufgegeben – auch ich blieb auf manchen
nicht unerheblichen Rechnungen sitzen, da
die Zahlungsmoral für manchen Ganoven
keine Rolle spielte. Manchmal dachte ich
schon ans Aufgeben. Doch mit Unterstüt-
zung der Familie und ehemaligen Kollegen,
die sich auch selbstständig gemacht hat-
ten, gelang mir immer wieder der Neuan-
fang. Es machte immer wieder Spaß, neue
computergestützte Technik einzusetzen.
Nach und nach komplettierte und moderni-
sierte ichmeine Ausrüstung mit großforma-
tiger Kopiertechnik, Laserfarbkopier- und
maschineller Falttechnik, Laminiertechnik,
Posterplot und Leinendruck. Besonders
glücklich bin ich jetzt, wenn die Studenten
mit ihrem jugendlichen Elan und ihren Prob-
lemen zu mir kommen und wir gemeinsam
eine Lösung finden.
Auch einem alten, verschlissenen Original
kann heute mit Hilfe modernster Technik
und fachmännischem Geschick neues Le-
ben eingehaucht werden. Es ist einfach
faszinierend, was damals war und heute
nach 21 Jahren geworden ist.«
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